Am 31. Mai 2012 kam es vor dem Lüneburger Amtsgericht zu der Verhandlung gegen Olaf Meyer, einen Sprecher der Antifaschistischen Aktion Lüneburg/Uelzen. Die Staatsanwaltschaft warf ihm eine „öffentliche Aufforderung zu Straftaten in Verbindung mit Störung öffentlicher Betriebe“ vor, da dieser im November 2010 öffentlich die Kampagne „Castor? Schottern!“ unterstützte. Im Folgenden dokumentieren wir die Prozesserklärung von Olaf Meyer.
Mir wird vorgeworfen, dass ich zu einer Straftat aufgerufen hätte. Doch es geht hier um mehr als nur um eine angeblich kriminelle Handlung. Es geht auch um die Fragen, was hier so alles erlaubt ist und was eben nicht, warum dies so ist und warum sich die Justiz zum Handlager des kriminellen Systems der Atomindustrie und deren Helfeshelfer_innen in den Regierungen macht.
Um es gleich zu Beginn zu sagen, ich halte das was ich gesagt habe für legitim und in der damaligen Situation für angemessen. Auch halte ich Castor Schottern für ein legitimes und erfolgreiches Mittel der Anti-Atom-Bewegung.
Massenhafte kollektive Regelübertretungen sind in den letzten Jahren zu einer neuen Kultur der Zusammenarbeit und Konfliktbereitschaft geworden und ermöglichen Erfolge wie im Wendland gegen die Castortransporte oder in Dresden gegen die dortigen Naziaufmärsche. Dafür muss mensch sich nicht entschuldigen, sondern „Weiter so“ sagen.
Wenn wir dies insgesamt juristisch betrachten wollen, so halte ich diese massenhaften kollektiven Regelverstöße durch das sog. Widerstandsrecht im Grundgesetz gedeckt.
„Zum Castor, zu Gorleben, zum „Atomausstieg“ ist alles gesagt. Aber jetzt ist es dran, den Worten auch Taten folgen zu lassen. Wir müssen alle gemeinsam mit unterschiedlichen Aktionen den Castor aufhalten. Atomausstieg ist Handarbeit! In diesem Sinne: Castor Schottern!“
Diese politische Aussage traf ich am Ende unserer Demonstration am 5. November 2010 auf dem Lüneburger Marktplatz. Die Demonstration des Lüneburger Aktionsbündnis Castor Widerstand, für die ich damals Anmelder und Versammlungsleiter war, stand unter dem Motto „Hart Backbord – Castor stoppen! Energiekonzerne enteignen und vergesellschaften!“ und zählte über 2000 Teilnehmer_innen.
Für die Polizei, Staatsanwaltschaft und das Gericht stellt diese politische Aussage eine „öffentliche Aufforderung zu Straftaten in Verbindung mit Störung öffentlicher Betriebe“ dar.
Wenn wir uns die Verhältnisse in diesem Land anschauen, dann verwundert dies nicht. Unter den noch herrschenden Verhätnissen es ist veboten, diese Worte zu sagen, während es gleichzeitig und trotz der Katastophen von Tschernobyl und Fukushima erlaubt ist, das die Atomindustrie ihre Profite mit der menschenverachtenden und höchst gefährlichen Atomtechnologie macht.
Erlaubt ist, dass trotz der erwiesen Gefahren durch die Strahlung der Castorbehälter, diese weiterhin kreuz und quer durch Europa zu transportien. Verboten dagegen der Protest gegen Castortransporte auf den Transportstrecken.
Erlaubt ist, hochradiaktiven Atommüll einfach in die Asse zu schütten und gleichzeitig ein Endlager in Gorleben zu bauen, obwohl es keine sichere Endlagerung geben wird und wissenschaftlich längst bewiesen ist, dass sich Salzstöcke dafür nicht eignen. Verboten ist dagegen die Zäune um die Endlagerbaustelle in Gorleben niderzureißen und die Schächte wieder zuzuschütten,.
Erlaubt ist, dass z.B. im letzten Jahr das Camp in Dumstorf verboten wurde. Verboten dagegen die Versammlungsfreiheit für viele tausend Menschen entlang der Transportstrecke.
Erlaubt ist, dass Polizisten – nicht nur im Jahr 2010 – äußerst brutal gegen Menschen vorgegangen sind und viele davon zum Teil schwer verletzten, die auf der Transportstrecke ihren Protest artikulieren wollten. Erlaubt ist dabei das massenhafte Zusammenschlagen von Menschen, der massenhafte Einsatz von Pfefferspray und Tränengasgranaten, was hunderte Verletzte zur Folge hatte. Verboten dagegen der Einsatz für das Leben und die Zukunft der Menschheit mittels der Erklärung Castor Schottern!
Erlaubt ist, dass der Lüneburger Polzeipräsident Niehörster die bekannte Anti-Atom-Aktivistin Cecile Lecomte als „krank“ und „verrückt“ beleidigen darf, während es verboten ist, so über Herrn Niehörster zu reden, auch wenn uns eine solche Wortwahl zuwider wäre.
Erlaubt ist auch das Nazis Woche für Woche irgendwo in Deutschland ihre widerwärtigen Aufmärsche durchführen können und die Polizei ihnen den Weg dafür immer wieder freiprügelt. Verboten dagegen sind Blockaden und andere antifaschistische Aktionen, die es nicht nur bei Sonntagsreden belassen und eine Konsequenz aus der deutschen Geschichte gezogen haben.
Erlaubt sind mehrtägige Versammlungsverbote von antikapitalistischen Protesten gegen die europäische Sparpolitik und ungerechte Lebensverhältnisse, wie vom 16. bis 19. Mai in Franfurt am Main. Verboten waren fast sämtliche Aktionen im Rahmen der europäischen Aktionstage unter dem Motto „Blockupy – Widerstand gegen das Spardiktat von Troika und Regierung – Für internationale Solidarität und Demokratisierung aller Lebensbereiche“.
Erlaubt sind Waffenlieferungen deutscher Firmen an die Türkei und die Zusammenarbeit der deutschen Regierung und Polizeibehörden mit der türkischen Polizei und dem türkischen Militär. Und erlaubt sind in diesem Zusammenhang auch Abschiebungen in die Folterkeller in der Türkei. Verboten dagegen das Eintreten für Demokratie und Frieden in der Türkei und die kurdische Freiheitsbewegung PKK.
Erlaubt sind Abschiebungen von Roma z.B. nach Ungarn, wo sie in Armut leben müssen und durch rassistische Übergriffe bedroht sind. Verboten ist es Sand in das Getriebe der deutschen Abschiebemaschinerie zu streuen, wie zum Beispiel der gescheiterte Versuch im April 1995 den damals im Umbau befindlichen Abschiebeknast in Berlin-Grünau zu sprengen.
Erlaubt sind Kriegseinsätze zur Sicherung der ökonomischen und geostrategischen Interessen Deutschlands. Verboten sind Proteste gegen die Bundeswehr, wie z.B. am 27. April 2012 auf dem Lüneburger Marktplatz.
Erlaubt ist, dass Menschen keinen angemessenen Wohnraum finden, auf der Straße leben müssen und gleichzeitig Immobilienhändler mit Wohnraum spekulieren und immer größere Profite erzielen können. Verboten dagegen, dass Menschen sich Lebensraum aneignen, Häuser besetzen oder versuchen alternative Lebensentwürfe wie in der Lüneburger Frommestrasse zu entwickeln.
Diese Liste ließe sich jetzt noch stundenlang fortsetzen und Euch fallen sicher noch viele andere Beispiele ein.
Am Beispiel der Atomtechnologie zeigt sich ein System, das ganz bewusst mit dem Leben und der Gesundheit der Menschen und Umwelt spekuliert. Die Gier nach Profit und Macht geht dabei über Leichen. Für die Konzerne und ihrer Helfershelfer_innen in den Regierungen steht ihr Profitinteresse im Vordergrund, und dafür nehmen sie Ausbeutung und Zerstörung von Mensch und Umwelt billigend in Kauf. Widerstand gegen diese herrschenden Verhältnisse ist dabei störend und soll mit allen erdenklichen Mittel bekämpft werden, damit alles so bleibt wie es ist. Deswegen sind wir heute hier in diesem Saal.
Im Aufruf zur Demonstration im November 2010 haben wir folgendes zum Thema Repression geschrieben: „Die Verschärfung der Repression hängt auch zusammen mit den ökonomischen Widersprüchen der bestehenden Gesellschaftsordnung. Gerade in Zeiten der weltweiten Wirtschaftskrise mit ihren verheerden Folgen für die abhängig Beschäftigten, Erwerbslosen, Rentner_innen, Schüler_innen wächst die Angst der Herrschenden vor „sozialen Unruhen“. Mit der Zunahme repressiver Strategien auf allen sozialen Feldern soll ein Bewusstsein vorangetrieben werden, dass die gesellschaftlichen und ökonomischen Probleme nicht strukturell zu lösen seien, sondern durch Sanktion, Ausschluss und Verdrängung. Die Macht der HeRRschenden – also auch der Atomwirtschaft – soll mit Repression gesichert werden.“
Repression und Klassenjustiz sind gekennzeichnet von der Durchsetzung ökonomischer Interessen für die herrschenden Eliten. Dazu habe ich im November 2010 in einem weiteren Redebeitrag folgendes gesagt: “ Der Staat und seine Institutionen, Polizei, Justiz und Militär haben die Aufgabe, die bestehende unsoziale „Ordnung“ am Laufen zu halten oder eben einen Castortransport durchzuprügeln. Wer die Grundlage dieser Ordnung angreift, die Produktion für den Profit bekämpft und eine Wirtschaft will, in der für die Bedürfnisse aller Menschen produziert wird und die Produktionsmittel vergesellschaftet sind, wird automatisch zum Feind des Staates und kommt früher oder später mit den „Gesetzeshütern“ in Konflikt.“
Mensch könnte Polizeigewalt, eine ungerechte Rechtsprechung und Repression im Allgemeinen beklagen. Doch Jammern und Klagen hilft uns nicht weiter. Friedrich Engels hat mal folgendes dazu gesagt: „Nicht sich drehen und winden unter den Schlägen des Gegners, heulen und winseln und Entschuldigen stammeln. Widerhauen muss man, für jeden feindlichen Hieb zwei, drei zurück. Das war unsere Taktik von jeher und wir haben bis jetzt, glaub ich, noch so ziemlich jeden Gegner untergekriegt.“
Genau in diesem Zusammenhang standen auch meine Worte am Ende der Demonstration am 5. November 2010. Das mag für die Polizei und Staatsanwaltschaft und einige Richter_innen ein Aufruf zu irgendwas gewesen sein. Doch mir ging es in erster Line darum, dass zu sagen was verboten werden sollte und die Repression gegen Castor Schottern im Jahr 2010 zurückzuweisen. Ein solidarischer Gruß an alle Unterzeichner_innen der Erklärung der Kampagne Castor Schottern und an alle die in diesem Zusammenhang von Repression betroffen waren.
Diesen Gruß möchte ich an dieser Stelle noch einmal wiederholen und fordere, dass sämtliche Ermittlungsverfahren wegen Castor Schottern eingestellt werden. Die politische Aussage „Castor Schottern“ lässt sich auch nicht durch hunderte von Ermittlungsverfahren und Prozessen verbieten!
Wenn der von mir gesagte Satz jetzt 300 Euro kosten soll, dann wird davon die Welt nicht untergehen und der Widerstand gegen Castortransporte und Atomwirtschaft trotzdem weitergehen.
Wir wissen, dass nichts bleibt wie es ist. Was heute noch verboten oder eine Straftat sein soll, kann morgen schon erlaubt und kein Grund mehr für Gerichtsprozesse wie diesen heute sein.
Wer hätte im November 2010 gedacht, dass keine zwei Jahre später eine schwarz-gelbe Bundesregierung die ältesten Schrottreaktoren abschalten lässt – auch wenn das kein Ausstieg aus der Atomwirtschaft darstellt.
Und wie schnell sich herrschende Verhältnisse verändern lassen, zeigt der sog. Arabische Frühling – die im Dezember 2010 beginnende Serie von Protesten, Aufständen und Revolutionen in der arabischen Welt, welche sich, ausgehend von der Revolution in Tunesien, in etlichen Staaten im Nahen Osten und in Nordafrika gegen die dort autoritär herrschenden Regime und die politischen und sozialen Strukturen dieser Länder richteten.
Mit Massenblockaden konnten wir in Dresden den Nazi-Großaufmarsch unterbinden, mit Tausenden behinderten wir effektiv den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 und auch im Wendland haben wir in der Vergangenheit massenhaft mit unterschiedlichen Aktionen die Atommülltransporte blockiert.
Die bestehenden Verhältnisse sind nicht gott- oder verfassungsgegeben, sondern unterliegem einem steten Prozess der Veränderung. Wobei Politik keinesfalls nur Kommentierung des Bestehenden bedeutet, sondern Eingriff in gesellschaftliche Prozesse und die Geschichte wird zeigen, dass es gerechtfertigt und richtig war.
Im Strafbefehl des Amtsgerichts Lüneburg gegen mich vom 27. Februar 2012 schreibt Richter Hobro-Klatte, dass es mir darauf an kam, möglichst viele Personen für Castor Schottern zu erreichen und für die Aktion zu gewinnen, wobei dieser Aufruf allerdings ohne Erfolg blieb. Das ein Richter weiß, auf was es mir ankommt oder ich erreichen will, finde ich dann doch recht spannend und wie er darauf kommt, das der mir so unterstellte Aufruf ohne Erfolg blieb, wird wohl Geheimnis des Richters bleiben.
Der Castor-Transport 2010 vom 5. bis 9. November dauerte 92 Stunden von La Hague bis Gorleben, verursachte ca. 25 Mio. Euro Kosten und bedurfte knapp 20.000 Polizist_innen – zumeist am Rande ihrer Belastungsgrenze. 50.000 Menschen nahmen an der Auftaktkundgebung in Dannenberg teil, weit über 10.000 bei den unterschiedlichen Blockade-Aktionen und gut 4.000 Aktivist_innen beim Schottern. Niemals zuvor wurde ein Castor-Transport so lange aufgehalten. Das lag zum einen an der Breite und Vielfalt des Protestspektrums, aber auch am Zusammenspiel der verschiedenen Aktionsformen. Sei es die Blockade von Widersetzen, die flächendeckenden Treckerblockaden, die direkten Aktionen an der Schiene oder eben Schottern.
Mit der Kampagne Castor Schottern wurde eine kollektive Erfahrung eines lebendigen und direkten Widerstands geschaffen. In einer unversöhnlichen, aber berechenbaren Aktion haben sich Tausende der herrschenden Ordnung entgegen gestellt und erfahren können, dass durch massenhaften Regelverstoß erhebliche Handlungsspielräume entstehen können. Auch der temporäre Zustand einer solidarischen Gesellschaft im Wendland, produziert Erlebnisse, um eine Welt jenseits von Individualisierung und Konkurrenzdruck denken zu können. Es wurde möglich, kollektiv das staatliche Gewaltmonopol bewusst zu unterlaufen und gleichzeitig das Gegenprojekt zu einer Gesellschaftsordnung, die auf den Müllhaufen der Geschichte gehört, zu formulieren: eine Gesellschaft, die bspw. die Energiegewinnung nach den Bedürfnissen der Menschen organisiert und in der die Bedingungen für das gute Leben für alle von allen ausgehandelt werden.
Das mag für einen Richter oder Staatsanwalt eine Horrorvorstellung sein. Für uns ein schönes Erlebniss und ein großer Erfolg, auf den wir aufbauen werden.
Wenn wir diesen Saal gleich wieder verlassen werden, dann werden wir weiterkämpfen: Für einen sofortigen und bedingslosen Ausstieg aus der Atomenergie, die Überwindung eines Systems, welches auf Ausbeutung, Ungerechtigkeit, ökologischer Zerstörung und Profitmaximierung ausgerichtet ist und für eine solidarische Welt.
Zum Schluß bleibt mir nur zu sagen: Zum Castor, zu Gorleben, zum „Atomausstieg“ ist alles gesagt. Aber jetzt ist es dran, den Worten auch Taten folgen zu lassen. Wir müssen alle gemeinsam mit unterschiedlichen Aktionen den Castor aufhalten. Atomausstieg ist Handarbeit! In diesem Sinne: …